Lieber Freund!
Nun kennen wir uns bereits seit geraumer Zeit und haben uns bei allen möglichen Gelegenheiten immer gut verstanden. Ich habe selten einen so
guten, hilfsbereiten und netten Menschen wie Dich kennengelernt. Es ist mir daher heut' ein Bedürfnis, einmal so von Herzen meine Meinung über
Dich zum Ausdruck zu bringen. So wie ich empfinden auch andere Freunde und Kollegen Dein ausgeglichenes und freundliches Wesen so angenehm, Dein
Humor und Optimismus reißen uns immer wieder mit. Man könnte Dich daher für den idealen Freund halten, wenn...
...Du nicht immer und überall Deine uralten, abgedroschenen Witze an den Mann bringen wolltest und beim Essen nicht so schrecklich schmatzen
würdest. Dabei sehen wir noch darüber hinweg, daß Du, sofern Du Dich unbeobachtet fühlst, popelst und Dich an den Vorhängen schneuzt. Wir
nehmen es Dir auch nicht übel, daß Du überall dazwischenquatschst und Apfelsinenkerne auf den Boden spuckst. Wenn Du mit einem ungewaschenen
Hals herumläufst und an den Finernägeln knabberst, dann ist das Deine Sache. Es macht uns nichts aus, daß Du mit Deiner feuchten Aussprache
Deinen Gesprächspartner berieselst, dauernd nach Knoblauch riechst und mit Deinen schiefgelaufenden Absätzen Deine Säbelbeine noch mehr in
Erscheinung treten.
Wen kümmert es schon, daß Du dauernd die Nase hochziehst, beim Trinken wie ein Walroß schlürfst und vor dem Spiegel Fratzen ziehst. Es stört uns
auch nicht, wenn Du Dein Gebiß auf dem Tisch liegen läßt und beim Essen das Messer ableckst. Es ist zwar nicht schön, daß Du alle Verwandten und
Bekannten anpumpst und das Zurückzahlen vergißt, doch wen geht das an?
Die meisten Menschen stört es nicht einmal, wenn Du immer und überall Deinen Blähungen freien Lauf läßt und dann noch Deinen Nachbarn vorwurfsvoll
ansiehst. Wir haben uns längst daran gewöhnt, daß Du mit ausgefransten Hosen und unrasiert rumläufst, immer Streit suchst und immer
Recht behalten willst. Daß Dein Hemdkragen aussieht wie ein weggeworfener Putzlappen und Löcher in Deinen Strümpfen immer größer werden, ist ebensowenig
neu wie die Tatsache, daß Du die ausgerauchten Zigaretten Deiner Kollegen an Dich nimmst und weiterrauchst. Daß Du schlecht über Deine
Großmutter sprichst, beim Kartenspiel schummelst und mit offenem Hosenschlitz rumläufst, mag ja noch angehen, auch daß Du meistens eine Bierfahne hast.
Daß Du nun auch noch anfängst, alten Damen ein Bein zu stellen, geht - gelinde gesagt - zu weit.
Ich möchte dieses Schreiben zum Anlaß nehmen, Dir dies einmal zu sagen. Ansonsten kann ich nicht umhin, auf das besonders harmonische Freundschaftsverhältnis
hinzuweisen, das Dich mit uns verbindet und noch einmal bestätigen, was für ein wundervoller Freund und Kollege Du bist!
Mit den besten Grüßen
Dein Freund
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